Biodiversität zieht immer grössere Kreise

Geschickt terminiert erfuhren wir am Montag von drei Umweltorganisationen, dass die Biodiversitätsstrategie des Bundesrats aus dem Jahr 2012 in der Schublade verstaubt. Von seinen 18 Haupt- und Unter-Zielen soll der Bundesrat nämlich nur eines bis 2020 erreichen. Nicht besser sieht es aus bei den 120 Teilzielen (nur 14 erreicht gemäss den drei Umweltorganisationen) oder bei den 49 weltweiten Zielbereichen (nur 5 erreicht). Am Mittwoch dann der Zustandsbericht des Bundesamts (Bafu) zur Biodiversität 2016. Die NZZ titelt am nächsten Tag: “Schwindende Biodiversität: Studie des Bundes zeichnet ein «alarmierendes Bild»”.

Soweit zum momentane Gefechtslärm, es geht um nicht weniger als den künftigen «Aktionsplan Strategie Biodiversität Schweiz». Der Soziobiologe Edward O. Wilson, welcher 1988 den Begriff Biodiversität zum ersten Mal verwendete, hätte seine helle Freude. Und mit grösster Wahrscheinlichkeit würde seine Freude angesichts der unzähligen Aktivitäten, die da so geplant sind, noch viel grösser. So schreibt das Bafu in seiner neusten Zustandsanalyse etwa, dass bereits eine Arbeitsgruppe Gesetzesvorlagen ausarbeitet, um die einige Hunderttausend bis Millionen Arten von Organismen, welche in einem Handvoll Boden vorkommen, besser zu schützen (Titelbild).

Ob all den Aktivitäten, hier rasch einige Gedankenstützen für alle Laien:

  1. Biodiversitätspolitik ist neben Klimapolitik vermutlich die wichtigste zeitgenössische Stossrichtung der Umweltforschung und -politik. In der Schweiz basiert die Biodiversitätspolitik auf der erwähnten Strategie Biodiversität Schweiz, welche 89 Seiten (!) lang ist und zehn strategische Ziele vom Niveau «Das Engagement der Schweiz auf internationaler Ebene für die Erhaltung der globalen Biodiversität ist bis 2020 verstärkt» enthält.
  2. Die Forderungen der Biodiversitätspolitik sind breit und richten sich an die Raumplanung, die Wald- und Landwirtschaft, an Jäger und Fischer, an Tourismus Freizeit und Sport, Verkehr, erneuerbare Energien, das Staatsvermögen und überhaupt an die gesamte Wirtschaft und alle Konsumierenden.
  3. Biodiversität wird häufig auf der Ebene der Lebensräume, der Arten und der Gene definiert. Damit deutet sich an, dass Biodiversität kein eindeutiger wissenschaftlicher Begriff ist.
  4. Der Begriff Biodiversität wird nicht nur politisch, sondern auch wissenschaftlich verwendet. Gedankenstütze #3 gilt trotzdem.
  5. Biodiversität wird mit gross angelegten Erhebungen gemessen. Dies soll jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass die Messung von Biodiversität heikel, schwierig, aufwändig, langsam und teils unmöglich ist.
  6. Biodiversität wird in der Schweiz zum grössten Teil im Auftrag des Bafu gemessen. Damit ist die Unabhängigkeit der Biodiversitätserhebungen in Frage gestellt. (Notabene ist m.E. der neue, schön illustrierte Zustandsbericht 2016 weder glaubwürdig noch nachvollziehbar.)
  7. Biodiversitätserhebungen sind vergleichsweise jung. Jegliche Trendaussagen sind daher kritisch zu hinterfragen.
  8. Es wäre falsch, eine geringe Biodiversität mit «schlecht» und eine hohe Biodiversität mit «gut» zu umschreiben. Oder anders formuliert: Was genau Biodiversität bedeutet und wie Biodiversität aus einer menschlichen Sicht zu bewerten ist, kann allenfalls für einen einzelnen Lebensraum wie ein Getreidefeld im Mittelland oder ein Grünerlengebüsch in den Voralpen, aber auch für eine bestimmte Population einer Pflanzen- oder Tierart diskutiert werden. Jeglichen anderen, verallgemeinernden Diskussionen oder gar Folgerungen sollte Frau und Mann besser aus dem Weg gehen.

Wer mehr wissen will, dem empfehle ich David Takacs scharfsinnige Analyse, welche vor mehr als 20 Jahren erschienen ist.


Referenz

  • Takacs D (1996) The Idea of Biodiversity: Philosophies of Paradise. Baltimore: John Hopkins Univ Press. 393 p.
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2 thoughts on “Biodiversität zieht immer grössere Kreise”

  1. Vielen Dank, Martin Hostettler, für diesen interessanten Post. Vor kurzem hat sich auch das SRF-TV der Sache angenommen:

    https://tp.srgssr.ch/p/portal?urn=urn%3Asrf%3Aais%3Avideo%3Ab6b555d5-5a3c-4f9d-a7c9-cfed252ffec8&autoplay=true&legacy=true&width=640&height=360&playerType=

    https://www.srf.ch/news/panorama/die-ergebnisse-sind-schockierend

    Vermutlich steht da ein neuer Umwelt-Hype in Vorbereitung. Da Biodiversität wohl etwas zu harmlos tönt, ist schon mal von Massentiersterben und schockierenden Zuständen die Rede.

  2. La biodiversité [i][b]globale[/b][/i] sera conservée tant qu’un habitat existe où une espèce est capable de se reproduire.
    Pour cela il faut aménager des zones protégées, des réserves, tant pour la faune que pour la flore. C’est ce qui a été abondamment fait, les USA en étant le pionnier dès la dernière moitié du XIXème siècle. Et il y a certainement encore des besoins dans ce domaine.
    Aussi, il est raisonnable de donner un statut d’espèce protégée à celles qui ont été identifiées comme étant en danger d’extinction et dont l’habitat ne peut se limiter au parcs et réserves. On pense aux oiseaux rares, aux ours blancs et autres baleines, à des champignons et des fleurs.
    Si ces efforts continuent, il n’y a aucune raison de penser que la biodiversité globale soit en danger.
    Mais que veut dire biodiversité dans notre habitat humain, notre environnement proche ?
    Faut-il à tout prix que toutes les espèces pensables soient en train de prospérer sur chaque mètre carré du territoire ? Que se passe-t-il si ce n’est pas le cas ?
    Là où une route, une place ou un bâtiment est construit, la biodiversité tombera à zéro; est-ce grave ?
    Bien sûr, pour maintenir une agriculture bien raisonnée il est aussi nécessaire d’aménager des refuges sous forme de haies et de bosquets, et aussi de pratiquer des rotations de culture afin de maintenir des sols de bonne qualité. Mais il n’est pas nécessaire, et très contreproductif, de laisser ce champ être envahi par tous les adventices et autres ravageurs de la région sous prétexte d’en conserver la biodiversité.
    Alors je ne comprends toujours pas quel est le problème urgent et important que nous poserait la biodiversité, ni quelle nouvelle mobilisation générale et globale devrait être décrétée.
    Ou alors c’est une cause de plus dont les avocats sont les récidivistes de l’annonce apocalyptique.
    Alors là je comprends mieux les motifs, d’ordre politique. C’’est bien à cause de ça que je n’ai aucune sympathie, ni pour cet alarmisme catastrophiste, ni pour leurs avocats, ni pour les leaders politiques qui se laissent berner par ces sirènes.

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