Weg von atomaren Luftschlössern?

Luftschlsser.pngLegende zum Cover: Kein Luftschloss! – sondern die Baustelle des ersten Nuklearkraftwerks beruhend auf der HTR-PM Technologie der Generation…

Unter diesem Titel war in der NZZ vom 1. Februar 2017 zu lesen: “Das Verbot neuer Atomkraftwerke ist falsch, aber irrelevant. AKW gängiger Bauart sind in der Schweiz ökonomisch und politisch chancenlos. Und solche neuer Bauart sind noch für Jahrzehnte illusorisch.”

Und weiter:

“… Bessere Technik wird siegen: Die Gegner der Energiewende wehren sich mit einem zweiten Argument gegen das Verbot von AKW-Neubauten. Es gehe nicht an, eine Technologie und damit deren Fortschritt zu unterbinden. Mit dem Verbot würde der Atomkraft zum Vornherein die Möglichkeit abgesprochen, dass sie sich weiterentwickelt und ihre Nachteile überwindet. Dieses Argument ist vom Grundsatz her richtig. Ein Technologieverbot ist Ausdruck eines fortschrittsfeindlichen Pessimismus und intellektuell unlauter. Die Atomtechnologie ist nicht tot. Basierend auf der angestammten Technologie sind weltweit 143 Werke in Planung und 59 im Bau, vor allem in China, Indien und Russland. Und es wird geforscht. Prinzipiell ist dieser Technologie zuzutrauen, dass sie bessere, sicherere und wirtschaftlichere Kraftwerke entwickelt, die auch für die Schweiz infrage kämen.

Die Atombefürworter verweisen gern auf die kommende IV. Generation von grundlegend neuen Reaktoren. Sie sollen Brennstoff viel effektiver nutzen und viel weniger und kürzer strahlenden Abfall produzieren, alternative Brennstoffe wie Thorium und Plutonium verbrennen, die Wahrscheinlichkeit schwerer Reaktorschäden minimieren, keine externe Notfallversorgung benötigen und über den gesamten Lebenszyklus wirtschaftlich mit andern Energieformen mithalten. Man forscht schon lange an solchen Technologien: dem Kugelhaufenreaktor, dem Flüssigsalzreaktor sowie den Schnellen Brütern, die mit Gas, Blei oder Natrium gekühlt werden. Auch die Schweiz ist über das Paul-Scherrer-Institut im internationalen Forschungsverbund GIF daran beteiligt.

Nur ist dies ferne Zukunftsmusik. Erst 2030 oder 2040 sollen solche Reaktoren kommerziell einsatzfähig sein. Damit ist die Klage über das «Technologieverbot» bloss akademisch, denn es verbietet Kraftwerke, die heute noch Luftschlösser sind. Falls in ein bis zwei Jahrzehnten ein Durchbruch mit neuartigen Reaktoren gelingen sollte, würde die Welt vor einer neuerlichen Energiewende stehen. Dann wäre auch der Sperr-Paragraf im Gesetz kein grosses Hindernis und könnte rasch beseitigt werden. In der Geschichte hat sich stets gezeigt: Ist eine Technik wirklich überlegen, lässt sie sich nicht aufhalten.

“Bessere Technik wird siegen” – dem kann man zustimmen. Allerdings endet der Autor (Helmut Stalder / st.) mit der Einschränkung, dass diese bessere Nuklear-Technik frühestens in der Zeitperiode 2030 bis 2040 zur Verfügung stehen werde. Damit sei die Klage der Energiestrategie 2050-Gegner betreffend das Technologieverbot bloss akademisch, denn es verbietet Kraftwerke, welche “heute noch Luftschlösser sind”. Da wundert man sich, wie schlecht die NZZ recherchiert, denn die angeblichen Luftschlösser der Generation IV Reaktoren sind heute bereits Realität aus Beton und Stahl. Gemäss früherer Korrespondenz zum Thema mit Vertretern der NZZ im Oktober 2015 müsste diese Realität auch der NZZ bekannt sein.

Bereits seit Oktober 2016 produziert ein Nuklearwerk vom Typ BN-800 (“schneller Brüter”) im russischen Beloyarsk mit voller Leistung und in Shidao Wan (China, Halbinsel Shandong) ist ein Kraftwerk mit einem Helium gekühlten Hochtemperatur-Kugelhaufen Reaktor vom Typ HTR-PM in der Endphase des Baus. Die Anlage soll im Oktober 2017 ans Netz gehen: Keine Luftschlösser! Vom letzteren Typ sind zwei weitere Werke im Bau und es ist zu vermerken, dass eine Testanlage mit diesem Reaktortyp bereits seit 2002 im Forschungscampus Changping (nordwestlich Beijing) in Betrieb steht. Zudem wird ebenfalls in China wie auch in den USA mit Nachdruck an der Molten Salt Reaktortechnologie geforscht und entwickelt (unter anderem am Shanghai Institute of Applied Physics und bei Transatomic Power, Boston). Man darf davon auszugehen, dass bis 2025 Forschungsreaktoren in Betrieb sind. Reaktoren notabene, welche die nuklearen Abfälle der bisherigen Leichtwasserreaktoren als Brennstoff weiter nutzen können. Ein grosser Teil der Nukleartechnologie der Zukunft, die das grosse und sehr wahrscheinliche Potenzial für das Prädikat “bessere und überlegene Technik mit enormen Entwicklungspotential” hat, ist heute also bereits Realität. Überlegen ist diese Technologie vor allem auch deshalb, weil ihre Energiedichte unübertroffen ist.

Damit die bessere Technik gegebenenfalls auch hierzulande siegen kann, täte die Schweiz gut daran, den Anschluss an die Forschung und Entwicklung unter keinen Umständen zu verpassen. Diese Herausforderung muss unbedingt angenommen werden – ein Technologieverbot wäre dagegen fatal nicht nur für die Energiewirtschaft, sondern generell für den Wissensstandort Schweiz.

Facebooktwitterlinkedinmail

Schreiben Sie einen Kommentar

Bitte beachten Sie: Kommentare sind auf 2000 Zeichen begrenzt.