Kyoto und Paris waren erst der Anfang

Die Aufregung in den USA, aber auch in der Schweiz, war in der Folge sehr gross und Trump wurde für seinen Entscheid massiv kritisiert. Die Berichterstattung nahm teilweise hysterische Züge an, so beispielsweis in der Berner Zeitung, welche auf ihrer Titelseite vom Pfingstsamstag ein grosses Bild mit ausgetrockneten Böden platzierte. Gerade was die Bodenfruchtbarkeit anbelangt, dürfte wohl die Sachlage etwas komplizierter sein (siehe dazu das PDF am Ende des Textes mit zwei Karten des Weltklimas nach Köppen-Geiger heute und in Hundert Jahren). Überhaupt war die Reaktion der Schweizer Medien unglaublich undifferenziert und kaum irgendwo wurde ernsthaft analysiert, weshalb die Administration Trump diesen Kurs einschlägt.

Echt störend ist allerdings, dass in derselben Ausgabe der Berner Zeitung ein bekannter Schweizer Klimaforscher und -politiker meint, «dieser Entscheid ignoriert unsere ganze Forschung», und damit Allwissenheit der Experten suggeriert. Sicher werden rund um das IPCC seit bald 30 Jahren grosse Anstrengungen zur Erforschung der Klimaveränderungen unternommen. Trotzdem handelt es sich um eine ziemlich kühne und auch naive Behauptung, welche gleich auf mehreren Missverständnissen beruht.

  1. Im Vorfeld von Trumps Entscheidung wurde bekannt, dass innerhalb des Weissen Hauses alles andere als Einigkeit über den Verbleib oder Austritt zum Klimaübereinkommen von Paris bestand. Es ist daher anzunehmen, dass Trump sich sehr wohl verschiedene Meinungen angehört hat und dabei wohl auch wissenschaftliche Ergebnisse des IPCC präsentiert wurden.
  2. Politische Entscheidungen und überhaupt alle menschlichen Entscheidungen stützen sich immer auf mehr oder weniger (gute) Entscheidungsgrundlagen ab. Wissenschaftliche Erkenntnisse sind so sicher eine wichtige Grundlage für menschliche Entscheidungen – nicht mehr aber auch nicht weniger. Aus wissenschaftlichen Erkenntnissen lassen sich nie direkt Handlungsempfehlungen ableiten.
  3. Die Entscheidung selber optimiert eine Zielfunktion, welche entweder vorgegeben ist oder durch den oder die Entscheidenden festgelegt wird. Das IPCC kann weder die zu optimierenden oder maximierenden Ziele der USA noch diejenigen der anderen Länder festlegen. Es geht hier um politische Entscheidungen, die immer auf einer Vielzahl von Abwägungen basieren. Welche Handlungsalternativen habe ich oder haben wir/die USA/die Welt? Welches sind die kurz-, mittel- und langfristigen Vor- und Nachteile dieser Alternativen? Welche Gruppen der Gesellschaft werden davon wie betroffen?
  4. Das IPCC hat sich in der Vergangenheit auch sozialwissenschaftlichen Fragestellungen angenommen. So hat sich beispielsweise der Nobelpreisträger Kenneth Arrow, welcher im Februar dieses Jahres verstorben ist, bereits früh mit sozialwissenschaftlichen Fragen des Klimaschutzes beschäftigt. Häufig waren die gestellten Fragen dabei normativer Natur – insbesondere Verteilungsfragen – und konnten deshalb wissenschaftlich einzig beschrieben, nicht jedoch beantwortet werden. Dazu gehören Fragen, welche jedoch gerade für die Beurteilung von Klimaschutzmassnahmen eminent sind. Konkret handelt es sich meines Erachtens um vier oder fünf Fragestellungen: (1) Wie gehen wir mit der Tatsache um, dass die Zukunft offen (unbekannt) ist? (2) Welche Zielfunktion optimieren wir? (3) Wie diskontieren wir die Zukunft? (4) Welche Ungleichheitsaversion zwischen den Generationen und (5) evtl. auch welche Wachstumsrate legen wir unseren Vor- und Nachteilsberechnungen zu Grunde? Es ist kaum bestritten, dass sich das Klima in der Zukunft verändern wird bzw. sich bereits verändert hat. Bestritten ist aber sehr wohl, welche positiven und negativen Folgen die Klimaveränderungen für die Menschen haben werden (darin eingeschlossen die Frage, wie gut oder wie schlecht die Menschen mit den Folgen der Klimaveränderungen umgehen können) und wie rasch überhaupt Massnahmen gegen Klimaänderungen ergriffen werden sollen. Die Meinung des Wall Street Journals vom 2. Juni 2017 mit dem Titel «Trump Bids Paris Adieu» zeigt in unmissverständlicher Weise, dass einerseits eine etwas andere Prioritätensetzung durchaus auch auf rationale Argumente zurückgreifen kann und andererseits Trump mit seiner Meinung auf die Unterstützung von (andersdenkenden) Intellektuellen zählen kann.
  5. Trump hat das Klimaübereinkommen von Paris gekündigt und gleichzeitig Neuverhandlungen vorgeschlagen. Damit deutet er an, dass er sich nicht grundsätzlich gegen Klimaschutzmassnahmen stellt, jedoch das Pariser Abkommen ablehnt. Wenn man bedenkt, dass bereits das Kyoto-Protokoll (1997) eine Fehlkonstruktion war, dann überrascht die Kritik an Paris wenig. Der kürzlich verstorbene Spieltheoretiker und Nobelpreisträger Thomas Schelling, welcher den Kalten Krieg erforschte, hat wiederholt darauf hingewiesen, dass die Abrüstungsverhandlungen zwischen der Sowjetunion und den USA Jahrzehnte dauerten und es deshalb naiv sei zu meinen, Einigkeit im Klimaschutz – das heisst zwischen 200 Ländern – könne innert 20 Jahren erzielt werden.

Soweit fünf Problemstellungen oder Gründe, weshalb Klimawissenschafter nicht alle Fragen des Lebens beantworten können – auch wenn sie dies offenbar manchmal ganz gerne täten. Experten wissen es eben überhaupt nicht besser. Die USA haben übrigens dank dem modernen Fracking bzw. der vermehrten Nutzung von Erdgas ihre pro-Kopf-CO2-Emissionen in den letzten zehn Jahren auf den Stand von Anfangs 1960er Jahre senken können. Damit liegen sich aber immer noch deutlich über der Schweiz (siehe Abbildung). Beim Betrachten der Grafik stellen sich übrigens noch zwei Fragen: Weshalb konnte Deutschland trotz gigantischem finanziellen Aufwand seine CO2-Emissionen in den letzten Jahren nicht stärker reduzieren? Wie lange hat die Schweiz nach der Abstimmung über die Energiepolitik 2050 noch so tiefe CO2-Emissionen?

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